Wehmut und Witz im Wechselspiel

Meiningen - Einen Puppenspieler, der die Namen der anwesenden Kinder notiert, eigentlich nur für den Aufbau und das Licht verantwortlich war, schließlich aber die Geschichte erzählte, selbst als Protagonist auftrat und es verstand; ein ernstes Thema wehmütig und dennoch wichtig darzubieten -einen solchen Künstler erlebte das Publikum in den Meininger Kammerspiele mit Ralf Kiekhöfer aus Halle in Westfalen.

Das Meininger Puppentheater feierte sein Jubiläum - 30 Kerzen zierten die Geburtstagstorte. Dass zu diesem freudigen Ereignis nicht nur Witz und Spaß geboten wurde, bewies das Stück „Engel mit nur einem Flügel". Als Direktorin des Meininger Puppentheaters wollte Maria Zoppeck Anspruchsvolles im Jubiläumsprogramm haben und lud Ralf Kiekhöfer vom Theater Töfte ein. Mitgebracht hatte er eine Geschichte, die unter die Haut ging. Eine Geschichte aus der Zeit der Judenverfolgung. Schwere Kost für ein junges Publikum möchte man meinen. Dank Kiekhöfer allerdings war das völlig anders. Er erweckte den jüdischen Jungen Robert Goldstein so zum Leben, als sei ein Kind wie die Mädchen und Jungen im Publikum. Mit einem Geheimversteck, jeder Menge Glückssteinen und einer besten Freundin. Seine Familie lebt in einer großen, hellen Wohnung. Am liebsten spielt der Junge im Hinterhof. Ein unbeschwertes Leben. Doch das Unheil kündigt sich an: mit Worten wie „Juden raus“ oder „Die Juden sind an allem schuld''. Robert muss den Davidstern tragen, die Familie wird aus Ihrer Wohnung vertrieben und wohnt jetzt in einem engen Kellerraum. Es dauert nicht lange, bis auch die Goldsteins abgeholt werden. Der Bahnhof, ein Waggon, Durst, Hunger. Wie durch ein Wunder wird Robert gerettet und lebt in Frankreich auf einem Bauernhof. Jahre später trifft er seinen Vater wieder. Gemeinsam spielen sie Sternegucken und entdecken dort oben am Himmel ihre gesamte Familie...

Kiekhöfer vermittelte den beklemmenden Inhalt sehr einfühlsam, verstand es ausgezeichnet, auch der traurigsten Begebenheit noch etwas Positives abzuringen. Schließlich sollten die Kinder das Theater nicht bedrückt verlassen. Zwischendurch gab es gar Stellen zum Schmunzeln, Lieder erklangen - ein Zeichen für ungebrochenen Optimismus. Zudem verstand es der Puppenspieler sehr gut, aus der Geschichte herauszutreten, den Kindern an passenden Stellen das eine oder andere zu erklären und selbst immer wieder in unterschiedlichste Rollen zu schlüpfen. Etwa in die des dicken Wilhelm, der den kleinen Robert Immer verprügelt, eben weil er Jude ist. Oder in die von Madeline, der französischen Frau, bei der Robert Unterschlupf findet. Selbst die Rolle des Vaters übernahm der Spieler ab und an. Dabei kam er stets mit den einfachsten Mitteln aus. Eine Kiste, die mehrfach umfunktioniert wurde, eine Lampe, die ganz schnell zur Suppenschüssel wurde, ein großes  Stück Stoff, das Tischdecke und Kleid darstellte. Aus einem braunen Lappen wurde ein Hündchen, dazu Kiekhöfers Gebell und das Lachen der Kinder.

Bei all dem blieb ausreichend Platz für viele gute Gedanken. Robert wünscht sich, auf den Eiffelturm zu steigen und dort eine Karte an den lieben Gott losfliegen zu lassen, weil ihm seine Eltern so sehr fehlen. Szenen, die sich besonders bei den Muttis und Vatis im Publikum einprägten. „Mir hat das sehr gut gefallen", meinte auch der zwölfjährige Edgar aus Meiningen. Und Felix, neun Jahre alt, fügte hinzu: „Es war traurig und witzig zugleich.“ Seine Mama war so berührt, dass sie nach der Aufführung gar nichts sagen konnte. „Es war großartig, eine bittersüße Geschichte. Schade, dass nicht mehr Gäste anwesend waren. Diese Zeit darf nicht vergessen werden, man sollte darüber schon in der richtigen Form reden", meinte Christiane Michel aus Dreißigacker. Und wie ist die Überschrift „Engel mit nur einem Flügel zu verstehen?" „Wir alle sind Engel mit nur einem Flügel. Um Fliegen zu können, müssen wir einander umarmen“, erklärte Ralf Kiekhöfer und damit ist eigentlich alles gesagt.

 

30 Jahre Puppentheater

  • Das Meininger Puppentheater ist eine der letzten neu gegründeten Theatersparten der DDR. 1986 hat der bekannte Puppenspieler Rolf Thieme mit 16 Ensemblemitgliedern den Grundstein gelegt. 1987 übernahm Maria C. Zoppeck die Leitung des Puppentheaters, die sie bis heute innehat. Seither sind 111 Premieren erarbeitet worden, die Meinigen mit weltweiten Gastspielen und internationalen Preisen berühmt gemacht haben.
  • Das Repertoire setzt sich aus Kinderstücken für die ganz Kleinen, Produktionen für Jugendliche sowie spannenden Abenden für Erwachsene zusammen. In jüngster Zeit gibt es auch die Kooperation mit der Meininger Hofkapelle-Junge Musik.
  • Die Jubiläumswoche vom 2. bis 9. Oktober 2016 lockte etwa 1000 Besucher in die Kammerspiele. Geboten wurden zehn Vorstellungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, darunter zahlreiche Gastspiele.
  • Die Meininger Theaterstiftung übergab zur Eröffnung der Festwoche den Zinsertrag in Höhe von 3900 Euro an Intendant Ansgar Haag. Das Geld wird für das Puppentheater verwendet.

 

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